Artenschutz am Beispiel der Finte
Dipl.-Biol. Sandra Schulze
Die Finte als anadrome Wanderfischart zählt zu den heringsartigen Fischen (Clupeidae) und ist neben der Alse (Alosa alosa) die in den norddeutschen Zuflüssen der Nordsee heimische Fischart. „Fallax“ bedeutet „täuschend“, welches sich auf die täuschende Ähnlichkeit zur sehr nah verwandten Alse, auch Maifisch genannt, bezieht. Während die Alse weiter in die Flüsse zum Laichen aufsteigt, bleibt die Finte in den Unterläufen der Flüsse.
Die Bestände, die ab den 1960er Jahren deutlichen Rückgängen unterworfen waren (NOLTE 1976, SCHUCHARDT et al. 1985), scheinen sich seit den späten 1990er Jahren in der Nordsee und ihren Zuflüssen, vor allem in Weser und Elbe, erholt zu haben (STELZENMÜLLER & ZAUKE 2003, NEUDECKER & DAMM 2005). Die ansteigenden Fintenzahlen entsprechen jedoch dennoch noch nicht wieder den historischen Beständen. Insbesondere in potentiellen Laichgewässern wie Ems und Eider sind die Nachweise als sehr gering einzustufen. Die Finte wird daher nach wie vor bundesweit als „stark gefährdet“ eingestuft (BFN 1998) und ist auch im Rahmen der FFH-Richtlinie als Fischart von gemeinschaftlichem Interesse (Anhang II der FFH-RL) eine europaweit bedeutsame Art.
Finten verbringen die meiste Zeit ihres Lebens im Meer, im Alter von 2-4 Jahren ziehen sie im Frühjahr in Schwärmen zum Laichen in die Flüsse (MOHR 1941, APRAHAMIAN et al. 1998). Im Zeit-raum von Mai bis Juni laichen die Finten im tidebeeinflussten Süßwasserbereich. Das Einsetzen der Wanderung (>12°C) sowie die Laichzeit (~ 15°C) sind temperaturabhängig (MAITLAND & HATTON-ELLIS 2003). Das Laichen findet nachts in Gruppen unter mehr oder weniger stark lautem Geplät-scher statt (APRAHAMIAN et al. 2003). Die nicht klebrigen Eier werden im freien Wasserkörper abge-geben (pelagophile Laicher, BALON 1975). Bisher wurde davon ausgegangen, dass die Eier zu Boden sinken und mit dem Gezeitenstrom in der Wasserschicht zwischen Boden und 2,5 m Höhe hin und her driften (HASS 1968). Nach jüngsten Erkenntnissen sind die Eier in der gesamten Wassersäule verteilt; allerdings in Bodennähe mit höheren Dichten (BIOCONSULT 2006). Nach ca. 2 bis 8 Tagen schlüpfen die Larven in Abhängigkeit von der Wassertemperatur. Die juvenilen Tiere halten sich etwa bis zum Spätsommer bzw. Herbst im Ästuar, vorwiegend in den äußeren Bereichen, auf. Daraufhin wandern sie im Herbst, mit einer Größe um 10 cm, ins küstennahe Meer ab (EHRENBAUM 1936, THIEL et al. 1996). Im nächsten Frühjahr/Sommer, wenn die Tiere gerade ein Jahr alt sind, wandern sie in das Ästuar zurück, ohne sich hier zu reproduzieren (APRAHAMIAN 1988). Die juvenilen Finten dringen dabei bis in den Süßwasserbereich vor. Die Laichreife tritt bei den Finten mit etwa 2-3 Jahren bei einer Größe von ca. >22 cm ein. Die Art kann nach 6-7 Jahren Längen bis 55 cm erreichen.
Finten haben ein breites Nahrungsspektrum und sind als Nahrungsgeneralisten einzustufen, sie ernähren sich sowohl von Zooplankton als auch von benthischen Wirbellosen und kleineren Fischen (APRAHAMIAN 1989, OESMANN & THIEL 2001).
Historisch gesehen ist der Rückgang dieser Art hauptsächlich auf den Bau der Wehre, Überfischung, Wasserverschmutzung und Flussvertiefung mit all ihren Konsequenzen zurückzuführen (LELEK 1976, SCHUCHARDT et al. 1985). Auch wenn die Bestände derzeit noch nicht ihr historisches Niveau erreicht haben, ist es ihnen dennoch in jüngster Vergangenheit wieder möglich in den kanalisierten Flüssen wie Unterweser und -elbe zu laichen (SCHULZE & SCHIRMER 2006, THIEL et al. 1996). Im Gegensatz dazu findet in den anderen Nordseezuflüssen entweder kein oder nur ein sehr geringes Laichgeschehen statt. So konnten bei Untersuchungen in der Unterems nur sehr geringe Eizahlen und keine Larven verzeichnet werden (BIOCONSULT 2007). Es ist daher fraglich, ob in der Ems eine erfolgreiche Reproduktion stattfindet. In der Untereider konnten bisher weder adulte, laichbereite Finten noch eine Reproduktionstätigkeit dokumentiert werden (Bspw. WRRL Monitoring und Aussagen der ansässigen Berufsfischer).
Demnach müssen aktuell die Gefährdungen vor allem woanders liegen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem strukturelle Defizite wie der Mangel an geeigneten Laich- und Aufwachshabitaten. In diesem Zusammenhang bestehen auch stoffliche Defizite wie z.B. Sauerstoffmangelsituationen insbesondere im Laichgebiet, hohe Schwebstofffrachten. Daneben sind Beeinträchtigungen wie stetige Strombaumaßnahmen, Unterhaltungsbaggerei, Sedimentumlagerung, Wellenschlag, Verlust durch Kühlwasserentnahme sowie hydromorphologische Veränderungen wie erhöhter Tidenhub und erhöhte Strömungsgeschwindigkeit zu nennen. Bspw. für die Eider spielen sicherlich vorrangig etwas andere Gründe eine Rolle: ungünstige hydrologische Verhältnisse (unnatürliche Tiden, stark schwankende Salzgehalte, je nach Tidesteuerung), starke Verschlickung, Querverbau (Eidersperrwerk). Aufgrund des steilen Salinitätsgradienten sind evtl. im Bereich des potentiellen Laichgebietes (oligohaliner-limnischer Abschnitt) nicht in ausreichendem Umfang Laichplätze vorhanden.
Literatur
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